Viertklassig Kochen #1 – Täglich grüßt die Regionalliga Südwest, oder: Warum diese seltsame Rubrik?

Prolog 2

Als KSV Fan nach 10 Jahren Regionalliga Süd(-West) hat man mit Bill Murrays Paraderolle als Phill Connors in „Täglich grüßt das Murmeltier“ einiges gemeinsam. In dem Hollywood Streifen wird der TV-Wettermann genötigt aus der Kleinstadt Punkxutawney zu berichten. Er liefert einen lieblosen Beitrag über das provinzielle Ritual „Der Tag des Murmeltiers“, leistet dabei bestenfalls Dienst nach Vorschrift, als das unfassbare eintritt: Connors wird in einer Zeitschleife gefangen und ist dazu verdammt diesen einen verhassten Tag immer wieder aufs neue zu begehen. Es entwickelt sich das filmische Psychogramm eines Mannes an der Grenze zum Wahnsinn. Connors wandelt zwischen Langeweile, Wut, verzweifelten Sinnfragen, bis hin zu Selbsthass und erfolglosem suizidalen Exit.

Ganz so schlimm ist es um unser Innenleben als KSV Fans nicht bestellt. Doch auch an uns nagt die Zeitschleife Regionalliga-Süd-West auf unbestimmte Zeit. Wenn auch nicht das eigene Leben, so wird durch den täglichen Gruß dieser Spielklasse doch die Liebe zum Verein bei den meisten auf existentielle Proben gestellt.

Auch wenn die Reiseziele hier und da wechseln, diese Liga bereitet ganz objektiv nur wenig Spaß: Das Memmingen von gestern ist das Nöttingen von heute, das Neckarelz von einst wird zum Watzenborn-Steinberg von morgen. Alle diese vermeidlich „Kleinen“ teilen irgendwie den immer gleichen provinziellen Charme. Da ist der gut gepflegte Dorfplatz, umrandet von üppigen Banden, die die lokalen Geldgeber repräsentieren und zugleich den sportlichen Wettstreit auf Augenhöhe erklären. Das Problem daran: Kennste einen, kennste alle.

Und die „Großen“? Insbesondere dieses Jahr besteht die Liga aus namhafter Konkurrenz. Mehr als die Hälfte von ihnen hat einst erste oder zweite Liga gespielt und ein paar charakterstarke Orte kamen mit der Zeit wieder zurück auf die Reisekarte: zuletzt das Stuttgarter Degerloch, davor der Bieberer Berg… und manch einer ertappt sich vielleicht sogar dabei, wie er etwas vertraut heimeliges, fast brüderliches verspürt bei dem Gedanken daran, wie beständig der FC Homburg und wir uns gegenseitig als „Regionalligadinos“ die Treue halten.

Doch bei allem guten Willen: Diese Sonnenseiten der Regionalliga wiegen nicht schwer genug. Am Ende des Tages bleibt es die immer gleiche A7 in Richtung Süden oder der Regionalexpress mit Umstieg in Frankfurt. Zeitschleife eben. Und auch das Säbelkreuzen der traditionsreichen Schwergewichte ist vor der Kulisse dieser Regionalligakonstruktion nur schwerlich zu genießen. Nach Saarbrücken, Offenbach und letztlich auch zu uns nach Kassel fährt jeder mit etwas Weitsicht mit der mulmig ungewissen Frage im Bauch, ob es den Verein noch im nächsten Jahr geben wird.

Das Gefühl, dass hier etwas falsch läuft, holt einen mit unerträglicher Härte ein, wenn nach dem Besuch im Auestadion die Sportschau flimmert. Seitdem dort dieser unsägliche SV Darmstadt 98 regelmäßig zur Inkarnation jungfräulicher Fußballnostalgie stilisiert wird, schmerzt die Gewissheit: Geschichten wie die der Lilien werden die Ausnahme der Regel bleiben, erstrecht seitdem der DFB auf die tolle Idee kam, das irrsinnige Nadelöhr einer zutiefst unsportlichen Relegation einzuführen. Für den Großteil der traditionsreichen Mannschaften wird diese Spielklasse unweigerlich im Lauf der Zeit zu einem Bermudadreieck, das von Spieltag zu Spieltag einen Teil Fußballgeschichte verschluckt. Das macht den täglichen Gruß der immer gleichen Regionalliga so besonders schmerzhaft und versaut einem sogar die Leckerbissen gegen die „Großen“. Besten Dank auch, DFB!

Doch was lehrt uns Hollywood? Phill Connors nimmt in „Täglich grüßt das Murmeltier“ den Kampf gegen seine schicksalhafte Fügung auf. Das immer Gleiche wird zur Charakterprüfung und Connors besteht sie: Er lernt französisch, spielt Jazz-Piano, schnitzt Eisskulpturen und verliebt sich in die bezaubernde Andie MacDowell alias „Rita“. Aus dem narzisstisch, selbstverliebten Mann, der in depressive Tiefen stürzte, wird ein lebensfroher, empathischer, universal gelehrter, Romanzier. Denn der Fluch ist gebannt als er den perfekten, moralisch integren und charakterlich unfehlbaren Tag hinlegt, mit dem die Zeitschleife ein Ende findet. Und was machen die verliebten Phil und Rita? Sie ziehen nach Punkxutawney, lernen die Provinz lieben und werden glücklich. Friede, Freude,… Regionalliga Süd-West? Gewiss, spätestens jetzt hat die Analogie ein Ende. Frieden mit dieser Regionalliga ist auf Dauer unmöglich – wohl aber auf Zeit notwendig. Regionalliga annehmen“ heißt ja nicht umsonst der neue Kurs, den uns das Hessisch-Niedersächsische Zentralorgan (HNA) vorgibt.

Jeder Löwen-Anhänger steht damit unweigerlich vor der Charakterprüfung: Wie bleibt man bei Laune in einer Ligakonstruktion, die sportlich nicht schlimmer sein könnte? Wie geht man gegen die eigene depressive Verstimmung vor, angesichts der Zeitschleife des immer Gleichen? Wie bekommt man Schwung in die Beziehung zu seinem geliebten Verein, der sich zuletzt ziemlich oft pubertär, dumm sogar recht scheiße verhalten hat? Diese Rubrik versucht eine unkonventionelle Antwort darauf zu finden!

Eine gute Freundin meinte in der Rückrunde nach einem mäßigen Spiel der Löwen zu mir – tröstend und gewiss von dem Wunsch angetrieben, mir mit einem guten Ratschlag zu helfen: „Hey, warum suchst du dir nicht einfach ein anderes Hobby, das dir mehr Freude macht?“ Nach einem ersten Moment der Entgeisterung musste ich lachen. Immerhin das erste mal seit meinem Besuch im Auestadion! Ich dachte: Dafür sind Freunde ja da. Sie müssen einen nicht immer ganz verstehen, aber am Ende lacht man zusammen.

Nach und nach konnte ich dem Gedanken der Freundin aber doch etwas mehr als ein „haha“ abgewinnen. Nicht etwa weil ein Hobby die unglückliche Vereinsliebe ablösen oder ersetzen könnte, wohl aber weil Hobbies Beziehungen gut tun. Sicher würden auch Paartherapeuten vorschlagen: „Gestatten sie sich mal Freiräume… machen sie worauf sie Lust haben… trauen sie sich etwas ungewöhnliches… ähhm… kochen sie doch mal zusammen…“ Kochen??? WTF???

In Zeiten des Kalorienzählens am Supermarktregal, einem sich zunehmend veganen gesellschaftlichen Grundkonsens und der Tatsache, dass Low-Carb, etc. zur Glaubensfrage wird, werden einige zu Recht sagen: „Lass mich in Ruhe mit dem Scheiß!Fußball ist der wohl letzte gesellschaftliche Ort an dem man noch wirklich „Jäger und Sammler“ sein darf und einfach das isst, was einem auf dem Weg halt gerade so in den Mund fällt, also: ’n paar Bierchen, ’n paar Bratwurst, ’n paar Bierchen, Fastfood Kette an der Autobahn, n paar Bierchen (und der ein oder andere nascht zwischendurch vielleicht mal aus dem Glas Marijuana – sollte es denn wieder aufgetaucht sein). Die Rubrik soll diese Freiheiten nicht einschränken, soll nicht erziehen und Teil des gesellschaftlichen Essensdiktats werden. Hier wird es keine Diät-Tipps geben! (Auch wenn das tolle neue Trikot echt eng ausfällt…) Insbesondere soll die Ursprünglichkeit der Nahrungsfrage in der Regionalliga gar nicht hinterfragt werden. In unserer Liga beschränkt sich die Essensauswahl ja anders als in den Gormet-Tempeln der Fußballbundesliga gewöhnlich auf: a) Bratwurst mit Senf oder aber b) Bratwurst mit Ketchup. Das ist auch gut so!

In dieser Rubrik wird eher ein ungewöhnlicher Selbstversuch dokumentiert, der die Zeitschleife Regionalliga und die getrübte Beziehung zum Verein auffrischen oder zumindest erträglicher machen soll. Vor den Auswärtsspielen werde ich mich auf eine kulinarische Auswärtsfahrt begeben und die immer gleichen Gegner in anderem Licht betrachten. Ich werde fragen, was man in Nöttingen, Ulm und Walldorf isst. Ich werde auf diese Weise versuchen den Essens-, Koch- und darüber hoffentlich auch ein Stück weit den Lebensgewohnheiten und Eigenheiten der Ligakontrahenten jenseits des eigentlichen Sportgeschehens nachzuspüren. Das werde ich niederschreiben und ich werde ortstypisch kochen. Das mag bescheuert klingen, was es wohl auch ist; doch neben dem entscheidenden Moment der Selbsttherapie und dem unbestrittenen Augenzwinkern könnte diese Rubrik auch etwas sinnhaftes haben:

Wir Fußballfans sind wohl die einzige soziale Gruppe, die regelmäßig jenseits der vorgefertigten Routen von „Marco Polo“ und „Lonely Planet“durch das Bundesgebiet reist. Unser Reiseführer heißt „Spielplan“. Wir kommen an von ihm vorgeschriebene Orte zu Zeitpunkten, die wir uns nicht selber aussuchen. Wir alle wissen, dass sich diese Auswärtsfahrten nicht in den 90 Minuten Fußball erschöpfen und dennoch bleibt uns viel verborgen. Kaum jemand wird nach dem Besuch im Auestadion unser ‚Feddenbrot‘, ’s ‚Weggewergg un die Griene Soße‘ kennen – zum Glück immerhin die ‚Ahle Worschd‘! Mit dieser Rubrik wird also etwas Licht in das Dunkel des Spielplans gebracht. Es wird – so meine Hoffnung – auf der kulinarischen Auswärtsfahrt mehr zu entdecken geben als den puren Fraß: vielleicht kurioses, interessantes, triviales, zumindest aber etwas neues. „Viertklassig kochen“ soll so den sportlichen Vorbericht um ein Stück Lebenswelt ergänzen. Wer Lust dazu hat, kommt auf diese Reisen mit, wer nicht mit will, sucht sich halt ein anderes Hobby (Modellbau, Origami, etc.) oder trinkt sich einfach mit ein paar Bierchen die Vereinsliebe weiter schön. Prost!

2 Gedanken zu „Viertklassig Kochen #1 – Täglich grüßt die Regionalliga Südwest, oder: Warum diese seltsame Rubrik?“

  1. Jeder Löwen-Anhänger steht damit unweigerlich vor der Charakterprüfung: Wie bleibt man bei Laune in einer Ligakonstruktion, die sportlich nicht schlimmer sein könnte? Wie geht man gegen die eigene depressive Verstimmung vor, angesichts der Zeitschleife des immer Gleichen? Wie bekommt man Schwung in die Beziehung zu seinem geliebten Verein, der sich zuletzt ziemlich oft pubertär, dumm sogar recht scheiße verhalten hat?

    Alles richtig, aber es geht ja noch schlimmer.
    Wie soll sich denn das getrübte Verhältnis zum Verein auf Grund des nie eingelösten Versprechens auf die nationale Bühne Drittligafussball zum Besseren bei denen wenden, denen die Lebenszeit so langsam zwischen den Fingern verrinnt ?
    Da lugt ja teilweise schon der Tod um die Ecke. Da hilft auch nix Kulinarisches mehr…

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    1. Aber gerade beim Ableben und der würdigen Sterbebegleitung hat doch das „letzte Mahl“einen tieferen Sinn, oder? Ich sehe die Rubrik durch den Einwand eher bestätigt.

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