So nicht! Wacht endlich auf, Löwen!

Ein wunderschöner Spätsommerabend im Werra-Meißner-Kreis. Alles ist angerichtet für ein großes Fußballfest zum 100-jährigen Vereinsjubiläum des SV Adler Weidenhausen. Der Gastgeber hat sich in Schale geworfen. Dazu ein herrliches Panorama: Sportplatz mit Blick auf den Hohen Meißner, Sonnenuntergang. Fußballromantik kommt auf. Und dann das.

Was die Löwen über 90 Minuten in der 2. Runde des Hessenpokals beim Verbandsligisten Weidenhausen auf dem Platz zusammen stolperten, war nur schwer als Fußball zu identifizieren. Leistung und Einstellung stimmten ebenso wenig wie Taktik und Konzept. Knapp 1.500 Zuschauer drängelten sich auf engstem Raum auf dem Spochtplatz im ehemaligen Zonenrandgebiet. Die Gelegenheit, Werbung in eigener Sache zu betreiben und gleichzeitig die Chance zu bekommen, im Achtelfinale einen „großen“ Gegner zu bekommen um vor eigenem Publikum zum Beispiel gegen den OFC aufzuspielen.

Der Auftritt gestern ist nicht der erste in der noch jungen Saison, der die Furchen in den leidgeprüften Kasseler Anhängergesichtern noch tiefer werden lässt. Bereits nach der ersten Halbzeit in Stadtallendorf reibte man sich verwundert die Augen – schließlich weckten die Testspiele doch die Hoffnung, die Zielvorgabe „Uffstieg“ wäre in diesem Jahr mehr als nur eine Worthülse. Auch die zweite Halbzeit in Stadtallendorf, die man 2:0 gewann, konnte den Eindruck nicht wegwischen, dass irgendetwas in dieser Mannschaft gerade nicht stimmt. Nur was?

Mütze
Klassenunterschied? Fehlanzeige.

Es folgte ein letztendlich souveräner Sieg gegen Friedberg, doch auch hier blieb ein fader Beigeschmack: wieder in Rückstand geraten, nur die individuelle Klasse eines Mahir Sagliks sorgte dafür, dass wir den Bock noch vor der Pause umstoßen konnten. Überzeugend war dann der Auftritt in Waldgirmes. Dass dies kein Fallobst ist, zeigt ihr derzeitiger dritter Tabellenplatz. Doch es stellt sich die Frage, warum die Mannschaft nicht in der Lage ist, eine solch souveräne Leistung zu stabilisieren und aus ihren Fehlern zu lernen? Denn im darauffolgenden Heimspiel beging man gegen Stadtallendorf ähnliche Fehler wie bereits im Hinspiel wenige Wochen zuvor.

Und nun das. Es stellen sich so viele Fragen, allen voran: was ist aus der Mannschaft geworden, die im vergangenen Jahr rein sportlich den zweiten Platz in der Hessenliga erspielte? Im Sommer tauschte man den Trainer, weil man mehr Professionalität wollte. Gehört zur neuen Professionalität des KSV Hessen Kassel ein behäbiges Auftreten auf den Dorfplätzen der Region? Dachte man im Ernst, man nimmt den Pokalerfolg mal eben im Vorbeigehen mit? Jahrelang kickte unsere zweite Mannschaft in der Verbandsliga gegen den SVA, jahrelang machte Sören Gonnermann gegen unsere Junglöwen Kiste um Kiste. Und zwar nicht nur gegen unsere Junglöwen. Die Torquote des Vollzeit-Agronomen sucht seinesgleichen. In grob 280 Einsätzen für den SVA erzielte Gonnermann ebenso viele Buden. Hatte sich das wirklich nicht zum Trainergespann rumgesprochen? Kickte Jörg Müller mit seinen Kaufungern nicht in der letzten Spielzeit gegen Weidenhausen? Ja, das tat er. Gonnermann machte in den beiden Spielen insgesamt vier Tore. Warum konnte er dann gestern in unserem Sechzehner machen was er wollte?

Es ist ein Trauerspiel wenn man sich anschaut, wie unsere Defensive anfängt einem aufgescheuchten Hühnerhaufen zu gleichen, sobald der Gegner den Ball in Richtung Strafraum treibt. Wo ist die Stabilität der vergangenen Jahre hin? Seit gestern wissen wir: Jan-Philipp Häuser ist nicht das Problem, zumindest bringen seine Teamkollegen nicht mehr Ruhe rein. Im Spielaufbau scheint Trainer Hirsch einen Plan zu haben – allein es scheint ihn niemand zu verstehen und umsetzen zu können. Er möchte einen Torspieler statt eines Torwarts. Lange Bälle sind tabu. Oho. Klingt irgendwie modern, professionell und daher nach gutem Fußball. Stadtallendorf zeigte eindrücklich wie man damit umgeht: Frühes Pressing, frühes Anlaufen – und weg ist die Murmel. Trainerfuchs Dragan Sicaja weiß, wie man in der Hessenliga zu Werke geht.

Die Qualität im Mittelfeld ist unbenommen. Verlierer des Überangebots ist ausgerechnet der Spieler, der in den vergangenen Jahren die meisten Torvorlagen lieferte und das Spiel zu lenken vermochte: Adrian Bravo Sanchez. Er drückt jetzt die Bank. Ein Hoffnungsschimmer war seine Einwechslung am gestrigen Abend dahingehend, dass er offenbar beim Trainer noch nicht komplett in Ungnade gefallen ist.

Tja und der Angriff? Sieht auf den ersten Blick gut aus: Saglik und Schmeer sind treffsicher, Lukas Iksal zerreißt sich und belebt das Spiel ungemein, Mogge und Dawid wirbeln. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass Saglik gegen Friedberg bei diesen krassen Chancen nicht nur drei, sondern mindestens sechs Kisten machen muss und dass die Taktik vorm Tor häufig so aussieht: querlegen, dann nochmal quer, nochmal quer, dann kurz nochmal querlegen um dann den Ball versuchen nach außen zu spielen, denn dann hat man nämlich zwei Möglichkeiten, weil man dann entweder querlegen oder eine Flanke ins Nirvana schlagen kann. Meistens legt man dann nochmal quer. Wie auch immer: am Ende landet der Ball dann bei Basti Schmeer, der zwar eine fantastische Ballbeherrschung hat, gegen dann mittlerweile vier Gegenspieler aber dann doch nichts mehr ausrichten kann. Im besten Fall gelingt es ihm dann querzulegen…ok, das Prinzip ist sicher jetzt klar geworden. Gab es in der Sommerpause eine Regeländerung, dass jetzt nur noch im Fünfmeterraum abgeschlossen werden darf?

Feierlichkeiten
Die Adler am feiern, rot-weiß wäre schöner gewesen…

Samstag gehts ins Herbert-Dröse-Stadion nach Hanau gegen Hessens ältesten Fußballclub. In Sachen Fußballromantik ist es dort wahrscheinlich noch ein wenig schöner als in Weidenhausen. Doch wenn dort ein ähnlich blutleerer Auftritt erfolgt wie in Weidenhausen, kann es ganz schnell ungemütlich werden. Die Verantwortlichen haben es selbst gesagt und auch entsprechend gehandelt: mehr Professionalität, mehr Profis auf dem Platz, der Aufstieg als klares Ziel. Daran müssen sich Trainerstab, Vorstand und natürlich nicht zuletzt auch die Mannschaft messen lassen. Aber sowas von. Die zahlreichen Schlachtenbummler, die auch am Wochenende wieder nach Südhessen pilgern werden, erwarten über die gesamten 90 Minuten Herzblut, Leidenschaft und absoluten Kampf. Ein überzeugender Sieg muss her gegen Michael Fink und seine Truppe, die ohne den Rückzug vom FSC Lohfelden noch in der Verbandsliga kicken würden. Das ist der Anspruch. Also reißt euch verdammt nochmal den Arsch auf, so wie ihr es in den vergangenen Jahren auch getan habt. Spielt Fußball!

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