Chinesische U20-Nationalelf in der Regionalliga: Der pure Kapitalismus darf niemals siegen

Vor dem diesjährigen Saisonstart machte der DFB einen der kuriosesten Vorschläge seiner Verbandsgeschichte. Über die Medien wurde die Nachricht kolportiert, dass ab der kommenden Spielzeit die chinesische U20-Nationalelf in der Regionalliga Südwest spielen soll. Grundlage der Meldung ist ein Kooperationsvertrag mit dem chinesischen Fußballverband.

Der China-Deal darf nicht isoliert betrachtet werden. Er ist Ausdruck einer grundlegenden Fehlentwicklung des Fußballs. Unser Verein und wir Fans stehen dabei auf der Verliererseite. Eins ist deshalb klar: Wir müssen uns wehren.

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Foto: Rösch/ Kasseler Skywalker

Freundschaftsspiel als Win-Win-Situation?

Meint man es gut mit dem DFB, dann könnte man sagen: ‚Jungs, das habt ihr schlecht kommuniziert‘. Schließlich tritt die chinesische U20-Nationalelf außerhalb aller sportlichen Konkurrenz an. Faktisch handelt es sich um ein Freundschaftsspiel in Spielpausen, für das die Regionalligisten 15.000 Euro Handgeld erhalten. Kurz nach der Meldung freuten sich deshalb auch die ersten hessischen Regionalligisten. So sagte etwa Steinbachs Geschäftsführer Matthias Georg gegenüber der Hessenschau: „Für uns wäre das eine schöne Geschichte. An den freien Spieltagen sucht sowieso jeder einen Testspiel-Gegner.“ Auch OFC-Boss Christopher Fiori meint: „Letztlich sind das einfach zwei fest vereinbarte, honorierte Testspiele“. Klingt aus kaufmännischer Perspektive erstmal vernünftig und Hand aufs Herz: Wer würde nicht gerne mal einen Hauch von internationalen Fußball im Auestadion sehen?

Der DFB hat einen schlechten Stil

Hätte der DFB gesagt, wir bieten den Regionalligisten ein Freundschaftsspiel gegen das chinesische U20-Team an, wäre die negative Resonanz an vielen Stellen sicher nicht so heftig ausgefallen. Die Art der Kommunikation ist aber kein zufälliger Fehltritt. Seit der Einführung der 3. Liga behandelt der DFB den Regionalliga-Unterbau nicht nur abschätzig und arrogant. Der Verband versperrt sich außerdem seit einem Jahrzehnt gegenüber einer längst überfälligen Ligareform und schaut weg, wenn alte Bundesligagrößen in der Ligafehlkonstruktion ums Überleben kämpfen. Im Vergleich zu dieser grenzenlosen Ignoranz, macht es schier fassungslos wie schnell die DFB-Funktionäre sich willig gegenüber Veränderungen zeigen, wenn ein finanziell lukrativer Deal lockt. Viele von uns fühlen sich deshalb schlichtweg verarscht, sind wütend, vielleicht auch ohnmächtig ob der scheinbaren Allmacht und Willkür der DFB Funktionäre. Die offiziellen Verlautbarungen von Vereinen wie Waldhof Mannheim oder Rot-Weiß Essen, die den DFB scharf kritisieren, sprechen deshalb vielen Fans aus der Seele.

Wer auf „die Chinesen“ schimpft, redet am Problem vorbei

Andere vereinzelte Wortmeldungen – etwa in Fanforen –, die falsche Sündenböcke und zu einfache Antworten auf den China-Deal suchen, stellen in der Gesamtschau der Verlautbarungen glücklicherweise die Ausnahmen dar. Ein eher harmloses Beispiel war etwa eine Twittermeldung von RW Oberhausen, in der gespottet wurde: „Der Meister der Regionalligen muss nicht mehr in die Relegation! Ab sofort wird per Glückskeks entschieden wer aufsteigt.“ Oder: „Jedes Maskottchen muss durch einen tanzenden Drachen ersetzt werden“. Dabei wurd humoristisch auf die Befürchtung der Fremdvereinnahmung der heimischen Liga durch ein ausländisches Team angespielt. Das ist allerdings nicht Kern des Problems.

Sicherlich kann und muss man kritisieren, dass der DFB (wiederholt) völlig unkritisch Kooperationen mit einem totalitären Regime abschließt, das seine demokratische Opposition bekämpft und massenhaft die Todesstrafe vollstreckt. Der Verband kommt an dieser Stelle seiner gesellschaftlichen Verantwortung in keiner Weise nach. Die jungen Kicker aus China, oder „die Chinesen“ sind dennoch die falschen Adressaten für Groll. Nicht die chinesische U20-Nationalmannschaft hat die Regionalligareform abgewehrt. Nicht die chinesische U20-Nationalmannschaft hofiert Red-Bull-Leipzig. Nicht die chinesische U20-Nationalmannschaft sorgt mit ihren U23-Mannschaften seit Jahren für Wettbewerbsverzerrung in den Regionalligen. Nicht die chinesische U20-Nationalmannschaft sorgt für fanunfreundliche Anstoßzeiten… All das ist die Handschrift von Funktionären des Deutschen Fußballbundes, der DFL, den Spitzen der finanzkräftigen Top-Vereine und der unzähligen windigen Akteure, die Fußball einzig als Geschäft betreiben.

Gewinner…

Der China-Deal ist auch nicht einfach Ausdruck der Boshaftigkeit dieser handelnden Akteure. Dem Kooperationsabkommen liegt eine tiefere Logik zugrunde. Die deutsche Bundesliga und der DFB sind Global Player im Fußballgeschäft. Zwischen den nationalen Fußballverbänden und Ligen ist längst ein weltweiter Vermarktungswettstreit ausgebrochen. Seit Jahren schnellen Fernsehgelder, Einschaltquoten, Transfersummen, Spielergehälter, Werbeverträge, etc. in die Höhe. Die Top-Ligen überbieten sich dabei gegenseitig.

In diesem Spiel gibt es Gewinner und Verlierer: Sieger sind zum Beispiel eine handvoll Spieler in den Top-Ligen, es sind Vereine die zahlungskräftige Großsponsoren oder Mäzene auf ihrer Seite wissen, ebenso wie große Sportmarken oder aber eine Vielzahl von Akteuren, die an den Schnittstellen von Verbänden, Vereinen, Spielern, Sponsoren und Ligen windige Geschäfte machen. Lange schon ist China Teil dieses Systems. Warum? Aus Sicht der Topclubs und Verbände Mitteleuropas gilt China als lukrativer, weil weitgehend unerschlossener Absatzmarkt. Hier wittert man die Einschaltquoten der Zukunft, versucht chinesische Topspieler zur Identifikation der Vereine in Fernost zu entdecken und schließt eben – wie aktuell der DFB – Kooperationen ab. Dem DFB und den deutschen Topclubs geht es dabei im Kern um die Vermarktung des deutschen Fußballs in Fernost und es geht darum, die Bundesliga und die Nationalmannschaft auf lange Sicht konkurrenzfähig gegenüber dem spanischen, englischen, französischen, italienischen und – wie wir vielleicht sehen werden in einigen Jahren – auch gegenüber dem chinesischen Fußball zu machen.

… und Verlierer eines „puren Kapitalismus“

In diesem System gibt es neben wenigen Gewinnern allerdings auch eine ganze Reihe von Verlierern: Es sind vor allem die unzähligen Spieler, die zum Teil ihre Heimat verlassen, auf eine Ausbildung verzichten oder ihre Familie aufgeben, aber niemals einen anständig bezahlten Profivertrag erhalten. Für die Mehrzahl der Fußballer ist ihr Karriereweg eine Armutsfalle und kein Millionengeschäft.

Verlierer sind auch all jene Fans, die Fußball als kulturelles Sportereignis lieben, an dem jede und jeder teilnehmen kann. Denn im Zuge der skizzierten Entwicklung verändert sich der Sport als kulturelles Massenereignis in rasender Geschwindigkeit. In den Topligen wird Fußball immer mehr zu einem sterilen, geleckten Eventprodukt, das kaum mehr was gemeinsam hat mit den Dorfplätzen und dem Amateurbereich: Hier der Videobeweis, dort die Rangeleien um Fehlentscheidungen; hier Helene Fischer in der Pause, dort die Fachsimpeleien über die gerade vergebene Torchance; hier die Bratwurst, dort die Canapés in den VIP-Lounges; hier die Vereinsliebe, dort der Verein als austauschbare und beliebige Marke; hier Fußball sonntags um 14 Uhr, dort ein bis zur Unkenntlichkeit zerpflückter Spieltag… Ein Fußball bei dem man auf den Rängen, zu erschwinglichen Eintrittspreisen und zu fangerechten Anstoßzeiten echte Emotionen leben kann, wird zunehmend zum Auslaufprodukt und das Geschehen auf dem Platz wird immer weniger über die Regeln des sportlichen Wettbewerbs bestimmt, sondern über die Marktmacht.

Die Lage vieler Regionalligsten legt eindrücklich Zeugnis von diesem Zustand des Fußballs ab. Nicht zuletzt durch die Ligafehlkonstruktion sind die Regionalligisten abgehängt von den Top-Ligen und von einer lukrativeren sportlichen und finanziellen Zukunft. Selbst dann, wenn sich Teams im sportlichen Wettbewerb als Meister behaupten, steigen sie nicht selbstverständlich auf. Die sportliche Durchlässigkeit in den exklusiven Club des Profigeschäfts gibt es in Deutschland de facto kaum noch. Zwar wird in den Regionalligen über weite Strecken ein Stück weit Fußballkultur weiter gelebt, die vielen Topklubs schon lange abhanden gekommen ist. Die Regionalligisten stehen dennoch zweifellos auf der Verliererseite der Gesamtentwicklung. Unter den gegebenen Bedingungen besteht das  Kerngeschäft der viertklassigen Vereine mit traditionsreicher Vergangenheit schlussendlich aus einem puren Überlebenskampf.

Der China-Deal beschleunigt den Trend, durch den Fußball mehr denn je von Gewinnstreben bestimmt wird; bei dem es wenige echte Gewinner und eine Reihe von Verlierern gibt. In einer guten Stellungnahme verschiedener Fangruppen der Regionalliga Süd-West heißt es deshalb richtig, dass über das China-Abkommen eine „ausufernde Kommerzialisierung des Fußballs“ vorangetrieben wird und in einem Interview in DER ZEIT brachte es Christoph Radtke vom FK Pirmasens auf den Punkt: „für mich ist das purer Kapitalismus.“ Soll der Fußball den wir lieben überleben, darf dieser pure Kapitalismus niemals siegen.

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Regionalliga-Reform jetzt!

Dem Protest einen Inhalt geben: Regionalliga-Reform jetzt!

In den letzten Jahren hat sich in den Kurven vieler Stadien eine Protestkultur entwickelt, die sich gegen die Symptome der voranschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs wehrt. Mit Choreographien, Fan-Demonstrationen, Stellungnahmen oder Boykott-Aktionen wurde sehr oft entschlossen, in einigen Fällen sogar kreativ und ideenreich gegen Erscheinungsformen des rein gewinnorientierten Fußballs protestiert: Für den Erhalt von Stehplätzen, für fangerechte Anstoßzeiten, gegen Montagsspiele, gegen willkürliche Stadionverbote, gegen RB Leipzig… So martialisch der Protest zum Teil auch daher kam, so wirkungslos ist er allerdings zu weiten Teilen. Warum?

Der Protest ist vielfach inhaltlich zu diffus. Überspitzt formuliert: Es juckt keine Sau und am wenigsten den DFB, wenn zwar in vielen Stadien gegenwärtig pseudoradikal „Krieg dem DFB“ an den Zäunen der Kurven hängt, aber wir Fans nicht klar haben, was wir anstelle eines korrupten Verbands wollen, für den die Kommerzialisierung des Sports das höchste Gut seines Schaffens ist. Ein Protest braucht umsetzbare Forderungen, die es vermögen, dem „puren Kapitalismus“ echte Grenzen zu setzen und die darauf abzielen, das Spiel zurückzuerobern, das wir lieben – zumindest in Teilen. Im Fall des China-Deals, kann uns das gelingen. Die Inhalte sind diesmal nämlich klar und greifbar: Wir wollen, dass die sportliche Durchlässigkeit in die 3. Liga wieder hergestellt wird. Das Nadelöhr Aufstiegs-Relegation muss verschwinden. Meister müssen aufsteigen.

Wir dürfen deshalb während der kommenden Spielzeit keine Gelegenheit verstreichen lassen, um auf die Regionalligareform zu pochen. Sollte es zu den Spielen gegen die chinesische U20-Mannschaft kommen, wäre das eine wichtige Gelegenheit des Protests, bei dem – in welcher Form auch immer – diese Forderung im Vordergrund stehen muss. Dazu muss ein Ruck durch die Reihen der Fans gehen und durch die der Verantwortlichen in den Vereinen.

Wünschenswert wäre auch ein Schulterschluss über die Regionalligen hinaus: mit Fanszenen der Top-Ligen, mit weitsichtigen Verantwortlichen und dem kritischen Teil der medialen Öffentlichkeit. Wenn es nämlich gelänge, die sportliche Durchlässigkeit in die 3. Liga durchzusetzen, würden davon nicht nur die Regionalligisten profitieren. Sieger wären all jene, die mehr den Fußball als das Geschäft lieben. Es wäre seit langem mal wieder ein echter Punktsieg gegen die voranschreitende Kommerzialisierung des Fußballs.

Und am Ende kommt eine unerwartete Pointe

Das kuriose an der ganzen Nummer ist übrigens die folgende Pointe: Ein Fußball, der sich Authentizität bewahrt, ließe sich auf lange Sicht sicher besser vermarkten, als ein Produkt, das nach und nach seinen Markenkern aufgibt. Auch das ist keine neue Erkenntnis. Es ist der grundsätzliche Fehler im System eines puren Kapitalismus, bei dem kurzfristige Gewinninteressen Vorrang vor nachhaltigen Strategien haben. Deshalb ein kleiner Blog36-Geschäftstipp zum Abschluss: Auch wer langfristig Kohle machen will, sollte sich der Forderung für eine Regionalliga-Reform anschließen.

3 Gedanken zu „Chinesische U20-Nationalelf in der Regionalliga: Der pure Kapitalismus darf niemals siegen“

  1. Die Wettbewerbsverzerrung und Benachteilung des „derzeitigen Fußballsystems“ beginnt doch mit der Zulassung der Teilnahme der Zweitmannschaften der Bundesligisten am Spielbetrieb ab den Oberligen.
    Hier hätte sich schon längst der entsprechende Fanwiederstand organisieren und artikulieren müssen.
    Diese Politik des DFB, den großen Clubs in die Karten zu spielen, sollte verurteilt werden.

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  2. Entweder romantisch in der wilden Liga mitspielen und aus dem DFB austreten oder die teilnehmenden Zweitmannschaften genauso wie die Chinesen fürs Mitspielen bezahlen lassen…zur Finanzierung der traditionellen Erstvereine! Außerdem: Vernetzung, Solidarisierung, Schulterschluß unter den Vereinen.
    Auf jeder Tagung muss gemeinsam eine Reform thematisiert werden…

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